SCHÖNDENKERIN 5

Ein Gedankenstrich ist zumeist ein Strich durch den Gedanken. Karl Kraus

Seit etlichen Jahren fahren mein Mann und ich mit unserem Wohnmobil in den Sommermonaten durch Europa. Wir lieben diese Art des Reisens. Wir bleiben, wenn es uns gefällt und fahren, wenn wir genug gesehen haben. Ständig auf Tour und doch zu Hause – irgendwie Heimat auf Rädern.

Wir halten uns dabei an örtliche Hinweise, Gebote und Verbote und benehmen uns wie Gäste sich in einem fremden Land eben benehmen. Höflich, freundlich und neugierig. Damit reist man am Besten und Sichersten. Und wir hatten in all den Jahren keine unangenehmen Überraschungen. Reisemobilfahrer werden oft gebeten, an den für sie vorgesehenen Parkplätzen zu parken oder zu übernachten. Wir begrüssen das sehr, denn man hat dadurch immer nur Vorteile. Andere Parkmöglichkeiten muss man lange suchen oder Durchfahrtshöhen verbieten eine Einfahrt, meist ist es laut und man parkt schief (sehr unangenehm beim Schlafen). – Umso ärgerlicher ist es, wenn ein PKW auf den manchmal spärlichen Stellplätzen für Wohnmobile abgestellt wird. Sowas passiert eh meist nur Ortsunkundigen oder Touristen. Und ganz unmöglich ist es, wenn der Fahrer dabei auch noch lautstark auf sich aufmerksam macht. Damals, irgendwo in Frankreich weit abseits einer Stadt um 8 Uhr 30 schießt ein kleiner weißer Kastenwagen hupend auf den Stellplatz. Die Reifen quietschen. Da ist die Urlaubsentspannung gleich dahin. Wir sitzen beim Frühstück, das muss wirklich nicht sein. Draußen laufen die Leute zusammen. Ein Tumult! Der hört auch nicht auf zu hupen, okay es reicht, ich mische mich jetzt auch ein. Ich reiße die Türe unseres Wohnmobils auf und vor mir steht ein Mann, breitschultrig, weiß gekleidet mit einer Kappe und grinst. „Bonjour madame! Voulez-vous un croissant?“ – Der Bäcker. Auf einem Parkplatz im Nirgendwo. Ein Service der Gemeinde. Also damit kann ja wohl niemand rechnen. – Und warum eigentlich nicht? Wieso nehmen wir immer zuerst das Schlechteste an? Haben wir denn wirklich so viele miese Erfahrungen in unserem Leben gemacht? Oder haben wir uns schon darauf programmiert, negativ zu denken? Einen Vorteil hätte es, man kann nicht enttäuscht werden. Ich geniere mich für meine Gedanken, während mir der Duft der frischen Backwaren in die Nase steigt, und weil ich die Türe so aufgerissen habe. Der Bäcker lächelt. Wir nehmen vier Croissants und uns an der Nase. Ich will nicht mehr so negativ denken und ich möchte mich nicht mehr so aufregen. In den meisten Fällen meint es das Leben doch gut mit uns. Falls mal nicht, will ich lieber wenige Male enttäuscht sein, als ständig verbittert und negativ. Ich besiegle mein Vorhaben mit einem Biss ins Croissant und werde belohnt mit warmem, süssem Blätterteig. Ein guter Beginn.

By |2018-10-16T21:38:12+00:00November 9th, 2018|Denken|0 Comments

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