SCHÖNDENKERIN 3

„Wer werde ich gewesen sein?“

Es war in der Camargue im letzten Sommer. Mein Mann und ich spazierten Richtung Rhone Delta. Kurz vor der Schiffsanlegestelle, ein Stück entfernt vom Strand, stand da dieser alte Fauteuil. Schon etwas gezeichnet vom Wetter, der Natur und den Wellen. Noch haben ihn die Pflanzen nicht erobert. Erst dachte ich, es handle sich um ein Stück Sperrmüll hinter einem Traumstrand und wollte mich schon aufregen. Doch gleich darauf entdeckte ich an der Wand dahinter eine Marmortafel. Da steht einfach nur: In Erinnerung an unseren Freund Georges. Daneben Blumen. Und schon ist dieser alte Sessel kein Stück Müll mehr, sondern ein liebevolles Stück Erinnerung an Georges. Wer war Georges? Saß er gerne am Strand? War das sein Lieblingsplatz? Haben dort Feste stattgefunden und haben Georges und seine Freunde dort gesungen und gelacht? Hat Georges an dieser schönen Stelle an der französischen Küste Ruhe gesucht, gefischt, gelesen? Wie alt wurde Georges? Es muss ein bequemer Sessel gewesen sein. Vielleicht war Georges schon ein alter Herr, der bei der Jugend sehr beliebt war. Vielleicht war er so etwas wie ein väterlicher Freund. Ob er auch Familie hatte? War sein Leben erfüllt? War er Kapitän? Offensichtlich liebte er das Meer. Haben Georges Freunde seine Asche dem Meer übergeben? Georges war ein Mensch, der es wert war, eine Erinnerungstafel zu bekommen. Nicht irgendeine, sondern aus Marmor! Und zwar von seinen Freunden und nicht von einer Stadtverwaltung. Sie wurde nicht aus Pflicht angebracht, sondern aus Liebe und Dankbarkeit. Das, was da an einem Strand in der Camargue steht, ist viel mehr als ein Sessel, es ist mehr als eine Marmortafel, mehr als ein Denkmal.

Nach all den Fragen, die ich mir gestellt hatte, waren noch jene an mich übrig: Was wird von mir bleiben? Schenke ich in all dem täglichen Trubel und Stress meinen Freunden jene Aufmerksamkeit, die sie verdienen? Öffne ich ihnen oft genug meine Türe und mein Herz? Ich hoffe es wirklich und ich achte wieder mehr darauf. – Was so ein alter Fauteuil, der eigentlich auf eine Müllhalde gehören würde, alles auslösen kann! Er kann die Welt eines vorbeikommenden Wanderers schöner und besser machen. Danke Georges und ein Dank an deine Freunde.

By |2018-10-16T22:23:02+00:00Oktober 14th, 2018|Denken|1 Comment

One Comment

  1. Helga Weinzettl 25. Oktober 2018 at 16:24 - Reply

    Berührend, wunderschön… Und zum Nachdenken… Danke, liebe Monica

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